VI. Pastyme with good company

Kritik aus dem Kulturbüro Göttingen:

 

Saitenwechsel

Pastyme with no christmas songs

Mit Musik am Hofe Heinrich VIII.

 

Geschrieben von Bjørn Steinhoff

12. Dezember 2018

 

Keine Advents-/Weihnachtsmusik in einem Konzert zwei Wochen vor dem Fest? Ein Wagnis? - Kaum. Im Parthenonsaal (Sammlung der Gipsabdrücke) bleiben nur einige wenige Stühle an diesem Nachmittag des Zweiten Advent unbesetzt.

 

Die Reihe SAITENWECHSEL weilt nun mehr bereits vier Jahre an dieser wundervollen Spielstätte, den dafür angebrachten Dank stattet Initiator, Musiker, Organisator Andreas Düker gleich bei seinem ersten Wortbeitrag dem Kustos Daniel Graepler in persona ab.

 

Monika Mandelartz (Harfe/Blockflöte), Laura Frey (Viola da gamba) und eben Andreas Düker (Laute/Vihuela) eröffnen das sechste Konzert der aktuellen Saison mit Einzug zu Musik - da Gamben sich so schlecht im Gehen spielen lassen, greift Laura Frey einmalig zur Glocke.

 

Musik am Hofe Heinrichs VIII. verheißt der Programmzettel; doch nicht nur „am Hofe“, sondern auch etliches aus der Hand des Königs selbst spielen die drei Musiker/-innen. Werke weiterer sechs Komponisten sowie einer Komponistin, deren Lebensdaten die Jahre 1455 bis 1600 umfassen, vervollständigen das Programm.

 

Jedem Musik„block“ folgt in bewährter Manier ein kleiner Wortbeitrag, der interessante Erläuterung zu Quellenlage und Notenmaterial, den Instrumenten, dem höfischen Leben bringt. So erfahren wir durch Monika Mandelartz, dass die Harfe zu Heinrichs Zeit ein wenig aus der Mode gekommen war, da die bis dahin verwendeten Instrumente nur diatonische Saiten besaßen, man also die „Musik mit Vorzeichen“, welche nun große Furore machte, leidlich schlecht spielen konnte. Unbekümmert verwenden die Musiker daher in diesem Konzert eine Harfe neuerer Bauart. Allerdings gibt die notierte Musik dieser Zeit eh so gut wie nie detaillierte Anweisungen zu den verwendeten Instrumenten. Häufig findet sich nur ein einstimmig notiert Melodielinie (den Rest nach den Regeln der Kunst zu ergänzen, beherrschte nicht nur der König) oder in (Lauten-)Tabulatur (einer instrumentenspezifischen Griffschrift). Es darf und muss also nach Herzenslust arrangiert und instrumentiert werden.

 

Wenngleich bekannt ist, dass Heinrich nur in der Zeit als Ehemann Katharinas von Aragón (seiner Ehefrau Nummer Eins) komponierte, so liegt vieles andere im Dunkeln. Das im Angelsächsischen berühmte „Greensleeves“ dürfte der König, entgegen aller Zuschreibungen, wohl kaum selbst für Ehefrau Nummer Zwei, Anne Boleyn, ersonnen haben - der verwendete italienische Stil wird England erst nach des Königs Tod erreichen. Das Thema Ehefrauen - darf bei Heinrich naturgemäß nicht fehlen – wird von Monika Mandelartz ganz unreißerisch skizziert. Der Text eines berühmten Trauerlieds der Zeit, „O Death, rock me asleep“, soll von A. Boleyn im Kerker vor ihrer Hinrichtung verfasst worden sein. Das großartige und ‚modernste‘ Werk des Programms, „Artur‘s Dump“, wird zweifelhafter Weise Philip van Wilder zugeschrieben usw. - Sie merken: Vieles unklar.

 

Ganz klar hingegen: Die Drei tragen die 18 kleinen Werke ganz wundervoll vor. Zum ersten Male sitze ich bei einem Konzert der Reihe ganz hinten im schuhschachtelförmigen Saal – die Sicht ist nicht allzu gut, der Klang trotz der Entfernung exzellent. Die Instrumente sind akustisch immer noch glasklar voneinander zu trennen und trotzdem gelingt den dreien an mehreren Stellen (besonders wenn alle drei die Töne zupfen) ein beinahe perfektes Verschmelzen zu scheinbar einem Instrument. Doch auch wenn die Gambe mit dem Bogen gestrichen wird, führt dies nicht zu einer Unwucht in Dynamik und Klangverteilung im Ensemble. Lediglich würden wir uns wünschen, dass Laura Frey in der tiefen Lage ebenso kraftvoll musiziert wie in den hohen Lagen. Ansonsten gibt es, von Kleinigkeiten abgesehen, nichts anzumerken.

 

In den letzten Wochen habe ich ziemlich viel J.S. Bach gespielt – und so verblüfft mich der Abstand, den diese Renaissancemusik zu uns hat - wie stets - aufs Neue. Die harmonischen Muster sind schlicht und einfach andere als das, was bei NDR Klassik den ganzen Tag vor sich hindudelt. Ein erneuter Beleg der Dämlichkeit des Terminus „klassische Musik“ für die Zeit von Perotin bis heute? Diese Musik ist kleinteiliger; feste Rhythmus- und oder Harmoniegerüste bilden sehr oft Grundlage für darüber sich frei entfaltende Oberstimmen. Die drei Instrumentalisten haben jedoch offensichtlich keine Probleme das Publikum in diese, längst vergangene, Zeit zu ziehen. Selten kann man über die gesamte Konzertdauer hinweg eine derart konzentrierte Stille genießen.

 

 

Der abschließende Musikblock rundum „Greensleves“ hat dann eine hintergründige Verbindung zum Heute. Feste Melodie-Harmonie-Blöcke, die zur allseitigen Verwendung in der Musikwelt herum sausen, gibt‘s im Zeitalter der Remixe und Loops schließlich auch (wieder). Bei „Greensleves“, wenn auch nicht vom König geschrieben, war das nicht anders. Irgendwie kommt es in die Welt, Gott weiß von wem; irgendwann wird es das erste Mal schriftlich festgehalten; munter drüber improvisiert gehört zu den Fähigkeiten, die ein vollständiger Musiker damals wie heute besitzen sollte. Als Zugabe für den üppigen Applaus erklang anderes, der Schlusssatz aus der „St. Paul‘s Suite“, Gustav Holst (1912), hätte auch gepasst. Sie ahnen richtig - „Greensleves“ wird dort ebenfalls zitiert.